BÄCKER: Eine Umfrage unter Azubis zeigt: Die Berufsorientierung muss besser und die angehenden Fachkräfte wertschätzender behandelt werden. Große Hoffnungen setzt der Zentralverband auf die Backfluencer.
Seit über einem Jahrzehnt wirbt der Zentralverband (ZV) des Deutschen Bäckerhandwerks mit seiner Kampagne „Back dir deine Zukunft“ um Nachwuchs. „Wir konnten unsere Ausbildungsberufe für mehr junge Menschen sichtbarer machen“, bilanziert Nils Vogt, der als Referent beim ZV für Berufsbildung und Fachkräftesicherung verantwortlich ist. Trotz des langjährigen Engagements sind jedoch zu viele Lehrstellen unbesetzt geblieben. Noch vor dem Beginn des Ausbildungsjahres 2022/2023 wollte der ZV deshalb ein Zeichen setzen. Er hat alle an der Ausbildung beteiligten Akteure am 25. und 26. Juni zu einem Ausbildungsgipfel an die Bundesakademie in Weinheim eingeladen.
Dass in der Ausbildung des Bäckerhandwerks nicht alles rund läuft, dürften viele schon geahnt haben. Der Verband hat sich im Vorfeld des Ausbildungsgipfels Gewissheit verschafft. Dazu haben die Bäcker einen neuen Kommunikationskanal genutzt. Azubis, die die Berichtsheft-App des ZV verwenden, wurden darüber aufgerufen, sich an einer Umfrage zu beteiligen. Über 500 von ihnen sind der Bitte gefolgt. Die Ergebnisse sind laut Nils Vogt „ein richtiges Pfund“.
Die Antworten auf die zehnte Frage haben den Bildungsreferenten darin bestärkt, dass Qualität und Attraktivität der Ausbildung gestärkt werden müssen. „Über 60 Prozent der befragten Azubis haben darüber nachgedacht, ihre Ausbildung vorzeitig abzubrechen.“ Als Gründe wurden an erster Stelle fehlende Wertschätzung, aber auch Überlastung und Konflikte angeführt. „Die Generation Z steigt mit anderen Erwartungen ins Berufsleben ein. Dies erfordert ein Umdenken der Ausbildungsbetriebe.“
Wertschätzung könne sich in einer übertariflichen Ausbildungsvergütung ausdrücken. Es wäre aber auch denkbar, den angehenden Bäckern und Fachverkäufern einen Zuschuss zum Führerschein zu zahlen, ein E-Bike zur Verfügung zu stellen, ein Auslandspraktikum zu ermöglichen oder ein Azubi-Event zu organisieren. „Nicht sonderlich überrascht“ war der Bildungsexperte des Zentralverbands davon, dass rund die Hälfte der befragten Auszubildenden vor dem Antritt ihrer Ausbildung kein realistisches Bild hatten, was sie in den kommenden drei Jahren erwartet. Die Berufs-orientierung an den Schulen müsse deutlich verbessert werden. Es brauche mehr Raum und Verbindlichkeit für Praktika. Schüler sollten bei der Wahl eines Praktikumsplatzes nicht nur „auf die bequeme Lösung vis-à-vis der Haustür“ setzen, sondern ausprobieren, „was sie kitzelt und neugierig macht“. Zum anderen müssten an allen Schulformen die Strukturen bei der Berufsorientierung aufgebrochen werden.
Neben mehr Offenheit für Praktika im Handwerk regt Vogt an, einen Bäckermeister in den Unterricht einzuladen. „Wenn wir in Deutschland über Gründung und Selbstständigkeit sprechen, sind häufig nur die Start-ups gemeint. Dabei gibt es im Bäckerhandwerk viele sehr gut aufgestellte Betriebe, die einen Nachfolger suchen, oder Nischen, die man als junger Meister oder junge Meisterin besetzen kann.“
Als ein „starkes Signal“ bewertet Nils Vogt, dass Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Schirmherrschaft des Ausbildungsgipfels übernommen hat. Doch den gut gemeinten Worten müssten auch Taten folgen. „Die Berufsschulen und überbetrieblichen Ausbildungszentren brauchen eine bessere Ausstattung.“ Zudem würde eine finanzielle Förderung vor allem Kleinstbetrieben dabei helfen, wieder mehr auszubilden.
Mit ihrer Nachwuchskampagne sind die Bäcker nach Einschätzung von Nils Vogt bereits dort präsent, wo sich die Zielgruppe überwiegend aufhält: in den sozialen Medien. Eine bessere Sichtbarkeit des Bäckerhandwerks und Einfluss auf die Berufsorientierung verspricht er sich vor allem von den Backfluencern. Sie gewähren ihren Followern auf Instagram oder TikTok mit kurzen Video-Schnipseln authentische Einblicke in den Berufsalltag und „geben dem Bäckerhandwerk damit ein Gesicht und eine Stimme“. Der Zentralverband erarbeitet zusammen mit ihnen Ideen und Themen für ihre Posts. „Ansonsten haben sie inhaltlich alle Freiheiten“, betont Nils Vogt. Zu den authentischen Einblicken gehört für ihn auch, dass sich die Backfluencer kritisch äußern oder eine Stirn voller Sorgenfalten zeigen. „Wir wollen beispielsweise nicht schönreden, dass Bäcker mitunter körperlich hart arbeiten müssen. Es ist aber auch ein attraktiver und zukunftsfähiger Beruf, in dem Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit und Regionalität eine große Rolle spielen.“
Nach dem Ende des Gipfels geht es an die Umsetzung. Es gilt, Lösungsansätze für eine bessere Ausbildung in die gesamte Branche zu tragen. Dies könne in Form von Checklisten, Leitfäden oder Podcasts sein. „Wir verstehen diesen Prozess nicht als Closed Shop, der nur auf die Teilnehmer des Ausbildungsgipfels beschränkt ist. Wir möchten alle an der Ausbildung beteiligten Akteure des Bäckerhandwerks einbeziehen“, versichert der Referent des ZV.
“Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass dieses Event kein einmaliger Impuls war, sondern dass die Ausbildung im Bäckerhandwerk substanziell davon profitiert.”
NILS VOGT, REFERENT DES ZV
Nils Vogt ist vor allem der lebhafte Austausch und die euphorische Stimmung während des Ausbildungsgipfels in Erinnerung geblieben. Er sieht den Zentralverband nun in der Pflicht. „Wir müssen jetzt schnell dranbleiben und dafür sorgen, dass dieses Event kein einmaliger Impuls war, sondern dass die Ausbildung im Bäckerhandwerk substanziell davon profitiert.“
Quelle: Deutsches Handwerksblatt, Freitag 26.08.2022 Nr.13, Text von Bernd Lorenz